Wie kommt man auf ein solches Thema?
Als ich so um 2006/2007 anfing mich mit Hochsensitivität (auch: Hochsensibilität) zu beschäftigen, zu forschen und zu publizieren, gab es im gesamten deutschsprachigen Raum nur eine handvoll Mitstreiter, denn das Thema war neu und nahezu unbekannt. Damals konnte ich noch nicht ahnen, dass dies zu meiner Lebensaufgabe werden würde, genau so wenig wie ich ahnen konnte, dass einmal ein regelrechter Hype um Hochsensitivität entstehen würde.
Ursprünglich war ich auf der Suche nach Erklärungen, warum manche hochbegabte Kinder in der Schule ihr Potential nicht zeigen konnten und fand bei meinen Recherchen einen Fachartikel von Elaine Aron aus dem Jahr 1997 mit dem Titel Sensory Processing Sensitivity and its Relation to Introversion and Emotionality, in dem die Psychologin gemeinsam mit ihrem Mann erstmalig ihre Forschungen zur Sensitivität für sensorische Verarbeitungsprozesse vorstellte. Ihre Studien beschäftigten sich mit Menschen, die empfindsamer als die überwiegende Mehrheit waren und Reize intensiver wahrnahmen, sowie diese auch anders verarbeiteten. Dies war für mich eine Art Schlüsselerlebnis und eröffnete mir eine ganz neue Sichtweise, denn Aron und Aron brachen damit eine Lanze für eine Minderheit, die in der Vergangenheit oftmals missverstanden und zu Unrecht als ängstlich, schüchtern, gehemmt, leicht erregbar oder neurotisch pathologisiert wurde. Sie identifizierte Hochsensitivität als ganz normales Persönlichkeitsmerkmal, welches fundamental zu verstehen ist und bei 15% - 20% einer Population vorkommt.
Grundsätzlich lässt sich Hochsensitivität auf vier Indikatoren reduzieren, die als zentral gelten. Diese sind:
· Gründliche Informationsverarbeitung
· Übererregbarkeit
· Emotionale Intensität
· Sensorische Empfindlichkeit
Hochsensitivität gilt als angeborenes Wesensmerkmal und wird aus einer tief in uns verankerten Überlebensstrategie hergeleitet, die eine stille Wachsamkeit postuliert, die tendenziell zum Rückzug führt. Grundsätzlich besteht bei Männern und Frauen gleichermaßen die Bereitschaft Informationen sorgfältig auszuwerten, bevor es zu einer Handlung kommt. Die erweiterte Wahrnehmung von Feinheiten (auch im emotionalen Bereich) wird oftmals als großes Geschenk empfunden, führt jedoch auf der anderen Seite leicht zu Reizüberflutung und Überstimulation. Dies geschieht insbesondere dann, wenn hochsensitive Menschen (HSM) nicht über ihren Wesenszug Bescheid wissen und mit geeigneten Schutz- und Abgrenzungstechniken vertraut sind.
Die Mehrheit aller HSM (ca. 70%) sind introvertiert, d.h. sie bekommen Energie durch das Alleinsein und den Rückzug von der Welt. Introvertierte verlieren Energie durch den Kontakt mit Menschen und meine Erfahrungswerte zeigen, dass ein Zeitfenster von 2 Stunden meist noch ganz gut bewältigt werden kann, auch wenn der Akku sich dann schon spürbar geleert hat.
Ganz anders verhält es sich jedoch bei extrovertierten HSM (ca. 30%), denn sie bekommen Energie durch den Kontakt mit Menschen und ihr Akku läd sich in Gegenwart anderer auf, während sie durch das Alleinsein Energie verlieren. Der extrovertierte Typus neigt dazu sich zu überfordern, da einerseits das Bedürfnis nach Ruhe, Rückzug und Reflexion besteht und andererseits Verlangen nach Kontakt und Stimulation durch soziale Situationen notwendig ist. Diese Sensitiven profitieren enorm durch Kenntnis ihres Wesenszuges und in der Folge durch sorgfältiges Abwägen der jeweiligen Bedürfnisse, um beiden Anteilen gerecht zu werden.
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